Work-Life-Balance: Expertin im Interview

Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, die sogenannte Work-Life-Balance, ist für viele Beschäftigte in Deutschland ein wichtiges Thema. Je nach persönlicher Situation kann es einem sehr schwer fallen, nach der Arbeit zu entspannen. Woher das kommt, wer vermehrt betroffen ist und was man dagegen tun kann, haben wir von Looping im Interview mit der Berliner Diplom-Psychologin Sandra Jankowski besprochen.

HINWEIS: Abonniere Artikel wie diesen kostenlos in der Looping Gruppe “Gesünder leben”! Gehe dazu einfach in der App zur Entdecken-Funktion.

Die Work-Life-Balance

Sandra Jankowski, erfahrene Psychotherapeutin aus Berlin, beschäftigt sich schon lange mit den Faktoren von Stressmanagement, Konfliktmanagement und Risikofaktoren rund um das Ungleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben. Durch die langjährige Arbeit mit ihren PatientInnen konnte sie Looping daher einen guten Einblick vermitteln.

Ein Phänomen mit vielen Gesichtern

Auch wenn einem beim Stichwort “Work-Life-Balance” zuerst der gestresste Anzugträger in den Sinn kommt, der von Meeting zu Meeting eilt – eine mangelhafte Work-Life-Balance kann generell jeden betreffen. “Ein Ungleichgewicht zwischen Privatleben und Beruf ist immer von vielen Faktoren abhängig. Das ist zum einen der Job an sich, die Flexibilität im Job, die eigene Persönlichkeit und Einstellung, und mitunter auch das Geschlecht. Dabei gibt es keine Gruppe oder Bevölkerungsschicht, die per se eine gute oder schlechte Work-Life-Balance hat”, meint Jankowski. Allerdings sei das Risiko in bestimmten Situationen höher. Zum Beispiel haben Frauen oftmals den Wunsch, Beruf, Familie und Haushalt zu stemmen, um den Partner so gut es geht zu unterstützen. Auch Alleinerziehende haben wegen der Doppelbelastung oftmals wenig Zeit für sich, so Jankowski. Ein großer Teil der Patienten bestehe aus Eltern, die mit der zusätzlichen Belastung umzugehen versuchen. 

nathan-dumlao-3kZpELkaxHc-unsplash.jpg

Die Ursachen für eine mangelhafte Work-Life-Balance

Einheitliche Ursachen gibt es so gut wie nicht. “Die Gründe für dieses Ungleichgewicht können natürlich einerseits von außen kommen. Diese sogenannten extrinsischen Faktoren können z.B. dann auftreten, wenn Kollegen nach Feierabend oder im Urlaub anrufen. Arbeitsbedingungen spielen dann eine Rolle, aber auch soziale Bedingungen wie eben eine Familie, die versorgt werden möchte. Andererseits gibt es intrinsische Faktoren, also alles, was von einem selbst ausgeht. Diese Faktoren sind zum Beispiel die eigene Motivation und Werte. Der eigene Charakter und auch Eigenschaften wie Perfektionismus sind ausschlaggebend, wieviel Druck man sich selbst macht.” Am besten sei es, für die eigene Einschätzung eine individuelle Analyse zu machen. Dabei wird in einem Gespräch ermittelt, wo die persönlichen Ursachen liegen. Dadurch können dann konkrete Ansätze zur Lösung entwickelt werden. 

Bestimmte Verhaltensweisen treten wiederholt auf

Nach Jankowskis Erfahrung zeigen Patienten mit mangelhafter Work-Life-Balance oder fehlerhaftem Stressmanagement oftmals bestimmte Verhaltensmuster. Dazu gehören Perfektionisten und solche, die keine Kontrolle abgeben können oder wollen. Außerdem sind oft Menschen betroffen, die es immer anderen Recht machen wollen, d.h. andere nicht enttäuschen möchten oder denen es schwer fällt, “Nein” zu sagen. Haufig in der Praxis seien auch solche, die große Verantwortung bzw. ein grosses Verantwortungsbewusstsein haben. Auch Konfliktscheue oder Menschen, denen die offene Kommunikation schwer fällt, seien ebenfalls unter den Patienten. 


Gerade unter dem Aspekt der Work-Life-Balance gibt es unter den Berufstätigen eine interessante Entdeckung. In einem Forschungsprojekt “Arbeiten - Lernen - Leben in der Wissensarbeit (ALLWiss) in der Zeit von 2009 bis 2013 an der Universität Trier, wurde bezüglich der Vereinbarkeitsanforderungen spezifische Work-Learn-Life-Balance-Situationen von Mitarbeitern von Firmen im IT-Bereich analysiert. Es gibt laut Jankowski vermutlich eine Skala, auf der sich alle berufstätigen Menschen befinden (siehe Figur unten). 

Interview+Sandra+Jankowski.jpg

Die Skala geht von einem Extrem, also der Situation, in der Freizeit und Arbeit komplett als dasselbe empfunden werden, zum anderen Extrem, bei dem Arbeit und Freizeit in allen Aspekten komplett voneinander getrennt sind. Die meisten berufstätigen Menschen fallen scheinbar auf einen Punkt irgendwo zwischen den beiden Extremen. Nun sind aber laut dem Forschungsprojekt ausgerechnet die beiden Typen, die sich an den jeweiligen äußeren Enden der Skala befinden, diejenigen mit der besten Work-Life-Balance bzw. dem niedrigsten Stresslevel. 

kinga-cichewicz-FVRTLKgQ700-unsplash.jpg

Wann ist die mangelhafte Work-Life-Balance kritisch?

“Grundsätzlich würde ich jedem, der über einen längeren Zeitraum Schlafstörungen hat, also Einschlaf-, Durchschlaf- und Aufwachstörungen, raten, sich untersuchen zu lassen. Andere ernsthafte Symptome sind Angstattacken, Gedächtnisschwächen, Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit oder Gereiztheit.” Leider ist es hierzulande eher üblich, nur die Symptome zu bekämpfen statt die Ursache anzugehen. Sei es durch Kaffee gegen Müdigkeit, Alkohol zur Entspannung, oder paradoxerweise noch mehr Arbeit zur Ablenkung. Dadurch wird vieles so lange ignoriert bzw. aufgeschoben, bis bei manchen ein Burnout eintritt. 

Erste Hilfe bei Stress und mangelnder Work-Life-Balance

Es gibt ein paar einfache Tricks, wie man zumindest kurzfristig eine bessere Work-Life-Balance finden kann. 

Listen

Wer zum Beispiel oft mit Gedanken an die Arbeit nach Feierabend kämpft, kann sich abends vor dem nach Hause gehen eine Liste mit den To-Do’s von Morgen anfertigen. Dadurch wird mental ein Schlussstrich unter den Arbeitstag gezogen, was einem mehr Abstand zur Arbeit bringen kann. 

Pausen und Abstand

Vielen Betroffenen hilft es außerdem, nach der Arbeit nicht sofort nach Hause zu kommen. So kann es hilfreich sein, stattdessen noch eine halbe Stunde zu spazieren, eine Stunde Sport zu machen oder ganz einfach einkaufen zu gehen. Auch diese Angewohnheit bringt einem einen mentalen Puffer zwischen Arbeit und Privatleben.

Das Wichtigste zuerst

Zudem ist es ratsam, die wichtigsten Aufgaben des Tages bereits zu Beginn der Arbeitszeit zu erledigen und zum Ende der Arbeitszeit die am wenigsten wichtigen vorzunehmen. Das führt nämlich dazu, dass der Kopf sich langsam auf den Feierabend vorbereiten kann und trotzdem alles geschafft wird. 

Entspannt in den Urlaub

Auch beim Urlaub sollte man so vorgehen. Das beinhaltet, dass man möglichst eine Arbeitswoche vor Beginn des Urlaubs die Vertretung für den Übergang vorbereitet und keine neuen Projekte anzufangen. 

radu-florin-CwTBt6jyagQ-unsplash.jpg

Langfristige Optionen

Langfristig sollte man nach Möglichkeit über ein Coaching nachdenken. Dazu gibt es verschiedene Formate. Viele größere Firmen stellen ihren Mitarbeitern dafür einen Spezialisten. Mehrere Krankenkassen bieten ebenfalls Gesundheitskurse und Achtsamkeitstrainings an, um vor ernsteren Folgen zu schützen. Online gibt es ebenfalls einige Möglichkeiten, die sich Interessierte anschauen können. Dort bekommt man meistens Tutorials und Übungsaufgaben zugeschickt, die man kostengünstig in seiner eigenen Schnelligkeit erledigen kann. 

Allerdings haben persönliche Gespräche einen entscheidenden Vorteil: sie werden auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten, statt eine Art oberflächliche Einheitslösung zu liefern. Bei Sandra Jankowski in der Praxis zum Beispiel beginnt man mit einem Gespräch zur Ermittlung der eigenen Situation. Danach gibt es ein wöchentliches Coaching von meist 5-10 Wochen, bei dem der Betroffene lernt, sich langfristig selbst zu helfen. So kann er oder sie Probleme frühzeitig erkennen und entsprechend handeln. Denn schließlich ist es immer besser, Probleme frühzeitig anzugehen und vorsorglich zu handeln, statt hinterher vor sehr viel größeren Folgen zu stehen. Wenn du dabei Hilfe gebrauchen könntest, kannst du dich also immer an Krankenkassen, Arbeitgeber oder professionelle Therapeuten/Coaches in der Nähe wenden. Auch der Hausarzt kann Ansprechpartner sein.

Über die Expertin

Sandra%252BJankowski%252B%2525282%252529.jpg

Sandra Jankowski

 

Abonniere Artikel wie diesen kostenlos in der Looping Gruppe “Gesünder leben” in der Entdecken-Funktion!